Unsere Geschichte
2003 - TODAY
Der kleine Anfang
Eigentlich wollte man im Sommer 2003 einfach nur irgendwo das erste Konzert spielen. Wir - Ingo, Dazi, Martin und ich - die Urformation der Sick Rats hatten unsere ersten einfachen Instrumente gekauft, uns gerade als Band gegründet und ein paar Lieder geschrieben. Kurz zuvor hatten meine Eltern ihr Haus baulich erweitert und es entstand eine Terrasse, die geradezu perfekt war, um darauf zu musizieren. Es wurde im jugendlichen Leichtsinn und im Einvernehmen der Eltern nicht lange gewartet, viele Freunde wurden eingeladen und am 20. Juli 2003 war es soweit. Rock am Hinkelhof war geboren – auch wenn an diesem Tag noch keiner darüber nachgedacht hat, das Fest zu wiederholen. Erst als das Jahr 2004 die ersten Sonnenstrahlen erlebte, fragte mich meine Mutter, ob wir denn dieses Jahr wieder eine solche Veranstaltung planen. Das wollten wir dann gar nicht lange diskutieren und entschieden uns, eine Wiederholung zu planen. Ab diesem Tag war Rock am Hinkelhof Tradition. Aber beim zweiten Rock am Hinkelhof wurden schon zwei weitere Bands eingeladen, die danach – wenn auch mit leichten Variationen – der Veranstaltung erhalten bleiben sollten: Dash of Daft und The Shaved. Bis zum fünften Rock am Hinkelhof, dem ersten Jubiläum, blieb es dann genau bei dieser Bandauswahl.
Die ersten Bands
Was war da los im Bergwinkel? Was waren das für Bands? Was waren das für Veranstaltungen? Was kamen da für Leute? Eins nach dem anderen: Um und in den Jahren nach 2003 gab es tatsächlich in Schlüchtern sowas wie eine jugendliche Rockkultur mit aufkeimenden Bands. Wenn ich ehrlich bin, war das ziemlich cool und diese Zeit hat einen großen Anteil an meiner Persönlichkeitsentwicklung und meinem Enthusiasmus für handgemachte Musik. Und dementsprechend gab es auch eine Jugend, die großes Interesse an Rockmusik jeglicher Art hatte. Selbst am hellen Markt gab es dann zwei Jahre in Folge einen Bandcontest für diese Bands – und da war tatsächlich auch was los.
Bandtechnisch gab es da zum Beispiel „Dash of Daft“: Für mich sind das weiterhin Idole und alleine ihre Releaseparty zum ersten Album in Seidenroth werde ich nie vergessen. Drei, später vier Jungs (David, Johannes, Tobias und Jan-Philip), die ihre Instrumente schon am Anfang extrem gut beherrschten, spielten großartige Melodien, treibenden Rock und brachten mit ihren kreativen Ideen beide Geschlechter zum ekstatischen Tanzen.
Dann waren da „The Shaved“, eine ganz andere Band mit ähnlichen Bandmitgliedern: Testosterongeladener, rifflastiger Showrock mit big balls. Und vorne stand und steht Tim Schaefer, der mit seiner großen Klappe und seinen coolen Sprüchen jeden in sein Herz geschlossen hat. Von hinten trommelt Daniel mit viel Groove, Jo spielt großartig Bass (auch wenn er hier eher unterfordert ist), und Philler und Tobi zeigen, dass es mit zwei Gitarren erst richtig knallt. Headbangen war und ist hier Programm. Und es gab „The Sick Rats“: Als Begründer und Mitglied ist es schwierig zu sagen, was uns ausmacht. Unsere Mischung aus witzig-dilettantischem Punkrock und existenzieller Dringlichkeit in den Texten ist auf jeden Fall ein Markenzeichen. Es gab zu dieser Zeit noch weitere Bands, die an dieser Stelle nicht alle genannt werden können. Rock am Hinkelhof bestand technisch aus ein paar kleinen süßen Verstärkern, einer kleinen PA und ein bisschen Licht. Alle Bandmitglieder und Freunde der Bands halfen mit beim Einkauf und Verkauf der Getränke und der Bratwürste. Insgesamt waren mehr Leute beim Mithelfen beteiligt als reine Zuschauer vorhanden waren. Ansonsten gab es ein paar Bierzeltgarnituren, 1-3 Billigpavillons und jahrelang kein Licht für die Grillmeister. Zu den Veranstaltungen kamen in den ersten fünf Jahren vor allen Dingen Freunde und Freundesfreunde aus der Schule oder der Uni/ Arbeit und ein paar Interessierte aus dem Dorf. Werbung gab es so gut wie keine und von Facebook hatte auch fast noch keiner was gehört. Unabhängig davon kamen die wenigen Leute gerne und schon früh zeigte sich eine große Bereitschaft aus eigenem Willen heraus, mit anzupacken, ohne eine Gegenleistung zu erwarten.
Es nimmt Fahrt auf
Dann kam Rock am Hinkelhof V: Damals war Julius, der Techniker der ersten Stunde, der Meinung, man müsse doch mal technisch einen raushauen und brachte eine sehr ordentliche PA mit. Zum ersten Mal gab es an diesem Abend auch einen großen Pavillon und mehr Struktur. Außerdem brachte Peter Hoffmann, Mitorganisator, Mittechniker/-täter und Vater von David, selbst kreierte Rock am Hinkelhof T-Shirts mit, die heute noch gerne getragen werden. Nach diesem Abend war man sich einig, hier sei doch inzwischen ein bisschen was passiert bei Rock am Hinkelhof. In den nächsten fünf Jahren kam nun etwas mehr Bewegung ins Spiel: Insgesamt wuchs die Zahl der Gäste und vervielfältigte sich, seit Rock am Hinkelhof VII gab es echte Plakate (alle von unserem Chefdesigner Andi Baier konzipiert) und auch die Bandauswahl änderte sich. Aus einem Teil von Dash of Daft, die kurzzeitig The Missing Yellow hießen und sich dann auflösten, entstand die Band „Mord in der Disco“ und spielte beim Hinkelhof. Martin Loder gab mal solo, mal mit Christopher Hein eigene Folkstücke zum Besten und aus Teilen der Sick Rats und Andi und Chrisser entstand die Indie-Metalband „Turbojoghurt“. Die Sick Rats mussten seit 2004 auf Ingo verzichten, konnten danach aber auf Hecky und Jo zurückgreifen. Auch andere Bands außerhalb des Hinkelhofkosmos kamen nun hinzu wie zb. „Misplaced Alley“ oder „Sweet and Sexy“. Größenmäßig kamen jedes Jahr 10-20 Leute mehr, jedes Jahr gab es mehr Pavillons, Biertische und Getränkesorten. Inzwischen waren inzwischen vor allem die Bandmitglieder von The Sick Rats und Turbojoghurt für die Organisation zuständig. Die Technik blieb bei Julius und Freunden. Und ansonsten blieb es dabei, dass es fast jedes Jahr einmal regnen musste.
Wachstum & Ortswechsel
Auch Rock am Hinkelhof X, das zweite Jubiläum bildete eine Zäsur. Wieder war es Julius, der technisch ordentlich aufrüstete. Das zehnte Jahr war technisch sehr professionell und laut. Wieder gab es Jubiläums-T-Shirts, die dieses Mal in Handarbeit der Organisatoren aufgebügelt wurden. In diesem Jahr kamen erstmals über 200 Menschen auf die Wiese und es war ordentlich was los. Und da kam auch wieder meine Mutter zum Zug: Mit jedem Jahr wurde es zu Hause lauter, was mit Soundcheck und so weiter insbesondere im Haus sehr schwer zu ertragen war. Und auch wenn man inzwischen Dixie-Klos eingeführt hatte, gingen immer noch viele (auch fremde) Besucher im Privathaus auf Toilette. Ein Zimmer in meinem Elternhaus wurde stets als Backstagebereich mitgenutzt und selten sauber hinterlassen. Das führte zu Unmut und es war klar, dass man wohl bald die Location ändern müsste, zumal die Wiese selbst nicht mehr ausreichte. Spätestens als einer der fremden Bandmitglieder die Nadel des Plattenspielers meines Vaters klaute, war vermutlich endgültig Schluss mit dem musikalischen Asyl im Privatbereich. Allerdings hatte man Angst, den Charme der Veranstaltung zu verlieren, die von dieser süßen Wiese bei meinen Eltern lebte. Da es aber keine Alternative gab und wir gewillt waren, das Spektakel fortzusetzen, wechselten wir den Ort im Jahr 2015. Heute muss man von Glück reden, dass auf der alten Wiese nie etwas passiert. Abgesehen davon, dass es nie zu Pöbeleien kam, ist auch keiner in den Teich gefallen, obwohl dieser direkt an der Theke grenzte.
Verein. Festival. Familie.
Am 22. Juli 2017 fand Rock am Hinkelhof zum 15. Mal statt. Immer noch am Hinkelhof, aber zum dritten Mal nicht mehr auf der Terrasse meiner Eltern, sondern auf einer nicht weit vom Ursprungsort entlegenen Wiese auf einer richtigen, großen Festival-Bühne. Nachdem im Jahr zuvor die Marke 500 geknackt wurde, war man gespannt, was in diesem Jahr passiert. Es hatte sich viel verändert: Wir starteten die Veranstaltung mit lokaler Blasmusik und danach würden neun weitestgehend lokale Bands auftreten. Es gab ein größeres Angebot an Getränken/ Essen und es ist seitdem alles etwas mehr organisiert. Seit 2014 gibt es sogar einen Verein, der das Ganze in Arbeitsteilung durchführt, so dass mehr Schultern die Verantwortung aufteilen. Und es kommen viel mehr Kinder und Rentner zu unserer Veranstaltung. Vieles ist aber so wie schon immer: Wie in den ersten Jahren stehen „The Shaved“ und „The Sick Rats“ auf der Bühne und spielen zum Teil noch viele Lieder aus den ersten Tagen. Es stehen immer noch die gleichen Leute wie damals am Grill (Björn und Rainer sowie inzwischen ein paar andere), es bringen die gleichen Techniker ihre PA mit, es kommen weitestgehend immer noch die gleichen Fans der ersten Stunde (und ein paar mehr) zu uns und es gibt inzwischen sogar noch mehr Menschen, die bereitwillig und ohne Gegenleistung die Veranstaltung mit einem Lächeln im Gesicht tragen. Und ich bin der festen Überzeugung, dass wir es auch geschafft haben, den familiären Charme zu übertragen. Ein fremder Mann, der unsere Veranstaltung im letzten Jahr zum ersten Mal besucht hat, erklärte mir, dass er es schade findet, dass viele Großveranstaltungen eine professionelle Kälte ausstrahlen. Bei uns habe er nicht das Gefühl, vielmehr gebe es eine warme, menschliche Atmosphäre. Und als Chrisser und Andi als „The Sick Rats Allstars“ 2015 unseren Jo vertreten haben, gingen sie hinterher von der Bühne und wunderten sich: Sie haben sich noch nie so oft verspielt bei einem Auftritt, aber es käme einem so vor, als würden einen die Zuschauer dafür noch mehr lieben als ohne die Fehler.
Gekommen, um zu bleiben
Seit 2017 findet Rock am Hinkelhof auf dem Galgenberg statt und ist seit 2019 ein zweitägiges Festival, das schon über 1300 Gäste zählen durfte.
Im Jahr 2020 sorgte die Pandemie um Covid-19 dazu, dass erstmals seit Beginn von Rock am Hinkelhof kein Festival mit Zuschauern stattfand. Im kleinsten Kreis des Vereins spielten Teile der Bands „The Sick Rats“, „Fighting the Gravity“ und die „Blechbrassers“ ein 4-stündiges Konzert, das man live online verfolgen konnte. Austragungsort war die Terrasse der Familie Kolb, also der Ursprungsort.
Umso größer starteten wir nach langer Pause im Jahr 2022 durch: Nicht nur zwei Tage Festival, sondern auch erstmals zwei Bühnen krönten unser Comeback. Auch wegen dieser Steigerung zerbrachen wir uns lange die Köpfe. Hatte man uns während der Pandemie vergessen? Kommt überhaupt jemand? - Schlüchtern belehrte uns eines Besseren, wie die volle Festivalwiese aufzeigte!
Im Jahr 2023 steht schließlich ein Jubiläum an - 20 Jahre Rock am Hinkelhof! Was auf der Terrasse der Eltern begann ist zu einer absoluten Regionalgröße gewachsen, ohne Werte und Überzeugungen dabei zu verlieren. Mit ganzen 18 Bands, Foodtruck, Cocktailstand und mobilem Tattoostudio (!) erwartet uns das größte Festival seit der Gründung.
Ich glaube, man kann frei nach Tocotronic zitieren: Wir sind und waren Teil einer Jugendbewegung. Wir haben mit viel Enthusiasmus, Optimismus und Leidenschaft ein kleines Stück Lokalkultur geschaffen. Nicht mehr und nicht weniger. Und ich kann für mich sagen, dass ich extrem stolz darauf bin, was wir hier geleistet haben. Und ich packe noch „Wir sind Helden“ hinter: Wir sind gekommen, um zu bleiben.